- tschechische Literatur
- tschẹchische Literatur,Die Anfänge:Die frühesten Ansätze zu einer tschechischen Literatur stehen in Zusammenhang mit der Missionstätigkeit der »Slawenapostel« Kyrillos und Methodios im Großmährischen Reich im 9. Jahrhundert Alttschechische Einflüsse weisen z. B. die im 9. Jahrhundert entstandenen fragmentarischen Missale »Kiewer Blätter« auf.Nach dem Zusammenbruch des Großmährischen Reiches (906) wurde die Tradition der altkirchenslawischen Literatur tschechischer Prägung im Přemyslidenreich fortgeführt (»Hospodine pomiluj ny«, geistliches Lied, 11. Jahrhundert).Durch die Übernahme des lateinischen Christentums ersetzte im Verlauf des 10./11. Jahrhunderts die lateinische Sprache das Altkirchenslawische beziehungsweise Alttschechische. So entstand gegen Ende des 10. Jahrhunderts die Legende »Svatý Václave« des Christian, die das Leben des heiligen Wenzel (Václav) und dessen Großmutter Ludmilla beschreibt und gleichzeitig versucht, einen Abriss der Geschichte des Christentums in Böhmen und Mähren zu geben; sie kann daher als älteste tschechische Chronik gesehen werden. Anklänge an antike und biblische Quellen weist die lateinische Chronik des Cosmas von Prag (»Chronikon Boëmorum«, 1119/21-25) auf.Die ältesten Belege für das eigentliche Schrifttum in tschechischer Sprache stammen aus der Mitte des 13. Jahrhunderts (religiöse Lieder, Psalterübersetzungen). Anfang des 14. Jahrhunderts entstanden die (fragmentarisch erhaltenen) »Alexandreis«, eine freie Nachdichtung des Alexanderepos des Walther von Châtillon, und die Dalimilchronik, daneben Verslegenden nach Motiven der »Legenda aurea«.Während der Regierungszeit Karls IV. kam es zu einer kulturellen Blüte (1348 Gründung der Prager Universität) und zu einer Ausweitung der literarischen Tätigkeit: religiöse und weltliche Belletristik, daneben aber auch wissenschaftliches Schrifttum (Claretus de Solencia, ✝ um 1379). Es entstanden die Katharinen- und Prokoplegende sowie Übersetzungen (»Tristan und Isolde«, »Herzog Ernst«, Trojaroman u. a.). Als erstes Rechtsdenkmal gilt das Rosenberger Buch (»Kniha Rožmberská«). Großer Beliebtheit erfreuten sich die Marien-, Passions- und Osterspiele, v. a. das von derbem Volkshumor geprägte Stück vom Quacksalber (»Mastičkář«, um 1340). Bemerkenswert ist auch das aus der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts stammende Liebeslied »Závišova píseň«, dessen Verfasser (Záviše) durch den Titel überliefert ist. Gegen Ende des 14. Jahrhunderts verfasste S. Flaška z Pardubic einen Fürstenspiegel in Form eines Tierparlaments (»Nová rada«), in dem er Verweltlichung und Sittenverfall geißelte. Das erste bedeutende Prosawerk ist der um 1409 entstandene »Tkadleček«, ein am »Ackermann aus Böhmen« des Johannes von Tepl orientiertes Zwiegespräch zwischen dem Autor und dem personifizierten Unglück. Theologische und philosophische Traktate sowie Erklärungen zu den Evangelien in hervorragender alttschechischer Sprache stammen von T. Štítný ze Štítného. In ihnen deuten sich bereits die Reformgedanken des 15. Jahrhunderts an.15. bis 17. Jahrhundert15.-16. Jahrhundert:Die tschechische reformatorische Bewegung hatte ihren Höhepunkt in J. Hus, der seine Ideen auch in tschechischen Predigten und Erbauungsschriften im Volk verbreitete, wobei er sich für eine Reform der tschechischen Rechtschreibung (diakritischen Rechtschreibung) einsetzte. Die Zeit der Hussitenkriege (1419/20-1433/34), in der das Tschechische immer mehr an Bedeutung gewann, ist erfüllt von religiösen Polemiken und Aufrufen (J. Žižka). Auch Lieder spielen eine wichtige Rolle, wobei das Kampflied »Ktož jsú boží bojovníci« das bekannteste ist. Vavřinec z Březové (Lorenz von Březová, * um 1370, ✝ 1437) verfasste - in lateinischer Sprache - die wohl bedeutendste Quelle aus der Sicht der Prager Hussiten (»Chronicon«) sowie - in tschechischer Sprache - eine in zwei Fragmenten erhaltene Weltchronik (»Kronika světa«). Nach religiösen und sozialen Reformen unter Ablehnung jeglicher Gewalt strebte der Laientheologe P. Chelčický, der in seinem Hauptwerk »Siet' viery« (1441) seine aus der Ethik des Urchristentums verstandene Soziallehre niederlegte und zum geistigen Vater der Böhmischen Brüder wurde.In der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts begann mit dem Humanismus eine umfangreiche literarische Tätigkeit: Großen Einfluss auf das tschechische Nationalbewusstsein übte die »Kronika česká« (1541) des V. Hájek z Libočan aus. Auf Anregung des Bischofs der Böhmischen Brüderunität J. Blahoslav, der u. a. das Neue Testament übersetzte, entstand 1579-93 die sprach- und kulturgeschichtlich bedeutendste Übersetzungsleistung der Böhmischen Brüder, die Kralitzer Bibel, deren Sprachform über zwei Jahrhunderte als vorbildlich galt. Daniel Adam z Veleslavína (* 1546, ✝ 1599), Verfasser von historischen und philologischen Werken, spielte als Initiator und Verleger (Unterhaltungs-, politische Literatur, Reiseberichte, Chroniken, philologische Abhandlungen, biblische Spiele) eine bedeutende Rolle; nach ihm werden die beiden letzten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts auch als »Doba Veleslavínova« (Zeitalter Veleslavíns) bezeichnet.17. Jahrhundert:Nach der Schlacht am Weißen Berg bei Prag (1620) führten repressive Maßnahmen der weltlichen und kirchlichen Autoritäten gegen protestantische Autoren und ihre in tschechischer Sprache verfassten Werke zu einer allmählichen literarischen Stagnation und zu einem Verfall der tschechischen Sprache. Während der Gegenreformation und in der Folgezeit erschienen v. a. Propagandaschriften und katholische Abhandlungen der Jesuiten. Viele der hervorragendsten Vertreter der tschechischen Kultur und Literatur wurden zur Emigration gezwungen (böhmische Exulanten) und setzten sich vom Ausland her für Tschechentum und tschechische Literatur ein, so der Bischof der Böhmischen Brüder J. A. Comenius mit pädagogischen und religiösen Abhandlungen und Pavel Stránský (* 1583, ✝ 1657) mit Schriften zur Verteidigung von tschechischer Sprache und Volkstum (»Respublica Bojema«, 1634). Aber auch in Böhmen selbst lassen sich Bemühungen feststellen, die tschechische Sprache vor dem Niedergang zu bewahren, so Bohuslav Balbíns (* 1621, ✝ 1688) »Verteidigung der tschechischen Sprache« (1672, herausgegeben 1775) und Václav Jan Rosas (* um 1620, ✝ 1689) »Čechořečnost seu Grammatica linguae Bohemicae« (1672). - Die Lyrik ist v. a. vertreten durch die katholischen Barockdichter Bedřich Bridel (* 1619, ✝ 1680; lyrisch-reflexives Gedicht »Co Bůh; Člověk?«, 1658) und Adam Michna z Otradovic (* 1600, ✝ 1676; Liedersammlungen, u. a. »Loutna česká«, 1653); bedeutend ist auch die tschechische Bearbeitung (»Zdoroslavíček«, 1665) der »Trutz-Nachtigall« von F. Spee von Langenfeld durch den Jesuiten Felix Kadlinský (* 1613, ✝ 1675). Daneben gab es eine reiche Volksdichtung mit Liedern, Märchen, Sagen und Erzählungen sowie Volksbücher und religiöse Lyrik.Die nationale WiedergeburtDie Reformen Maria Theresias und v. a. Josephs II. (1781 Aufhebung der Leibeigenschaft, Toleranzpatent; Verbesserung des Schulwesens) gaben den Anstoß zu einer nationalen Wiedergeburt (»obrození«) des Tschechentums, die am Anfang der neueren tschechischen Literatur steht. Unter der Führung von Gelehrten wie Gelasius Dobner (* 1719, ✝ 1790), F. M. Pelcl und v. a. J. Dobrovský entfaltete sich auf historischem und philologischem Gebiet eine rege Tätigkeit, die die Rückbesinnung auf die Werte der eigenen Kultur und Sprache in den Mittelpunkt stellte. Dobrovskýs Werke, v. a. sein »Ausführliches Lehrgebäude der böhmischen Sprache« (1809), schufen die Grundlagen der modernen tschechischen Literatursprache, an die J. Jungmann mit poetologischen und philologischen Arbeiten, insbesondere seinem tschechisch-deutschen Wörterbuch (»Slovník česko-německý«, 5 Bände, 1835 bis 1839) anknüpfte. Die tschechische Literatur dieser Zeit orientierte sich v. a. an deutschen anakreontischen Vorbildern, die übersetzt und nachgeahmt wurden, u. a. Václav Thám (* 1765, ✝ um 1816) und der Kreis um A. J. Puchmajer, der auch die Dichtung des europäischen Rokoko und des Klassizismus vermittelte.In der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es durch die Berührung mit der deutschen Romantik und v. a. mit den Ideen J. G. Herders zu einer Blüte der tschechischen Literatur. Große Aufmerksamkeit erregten die von V. Hanka als literarische Denkmäler aus dem 13. beziehungsweise 9. Jahrhundert ausgegebenen Königinhofer Handschrift und Grünberger Handschrift. Den ersten dichterischen Höhepunkt des tschechischen Klassismus bildete die nach dem Vorbild von Petrarca, Dante und F. W. Klopstock in tschechischer Sprache verfasste Versdichtung »Slávy dcera« (1824) des Slowaken J. Kollár, deren Sonette nationales Sendungsbewusstsein in symbolhaft-historischer Umschreibung zeigen. Großen Einfluss übte auch Kollárs im Sinne eines Panslawismus verstandene Forderung nach »slawischer Wechselseitigkeit« aus. Als Vertreter einer romantisierenden Geschichtsschreibung schufen die Historiker und Altertumskundler F. Palacký und P. J. Šafárik grundlegende Werke. - Die jüngere Romantik ist geprägt durch F. L. Čelakovský, der eine Poesie auf der Grundlage des Volksliedes vertrat und K. J. Erben, der ebenfalls slawische Volksdichtung sammelte und dessen einzige Gedichtsammlung »Kytice« (1853) wegweisend für die Ballade und den epischen Stil wurde. Einen weiteren Glanzpunkt der tschechischen Romantik bildete K. H. Mácha mit der von Lord Byron beeinflussten lyrisch-epischen Dichtung »Máj« (1836). - Als Begründer des modernen tschechischen Dramas gelten V. K. Klicpera und J. K. Tyl, der neben Possen und historischen Dramen auch sozialkritische Stücke schrieb.Die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts ist durch den Übergang zum Realismus und die Betonung der tschechischen Eigenart gekennzeichnet. An der Wende zwischen Romantik und Realismus steht der bekannteste tschechische Roman des 19. Jahrhunderts »Babička« (1855) von Božena Němcová, der noch idyllische Züge trägt. K. Havlíček-Borovský, Vertreter eines kritischen Realismus, begründete den tschechischen Journalismus und die politische Satire (»Tyrolské elegie«, 1852).In den 1860er- bis 90er-Jahren gruppierten sich die literarischen Strömungen um drei Zeitschriften: die dem Realismus verpflichtete »Máj«-Bewegung mit J. Neruda als Hauptvertreter, der die tschechische Literatur durch Feuilletons, Erzählungen (v. a. die humoristisch-realistische »Povídky malostranské«, 1878) und bedeutende Lyrik bereicherte, sowie dem Lyriker und Erzähler V. Hálek und der Autorin Karolina Světlá, die als Begründerin des tschechischen Dorfromans gilt. Die Autoren um den Almanach »Máj« (1858, Mai) versuchten, sich von romantischen Denkweisen und einer idealistischen Literaturkonzeption zu lösen und an realistischen Schreibmethoden (H. de Balzac, Stendhal, H. Heine) zu orientieren. Psychologische Skizzen, soziale Probleme und auch die Frauenemanzipation befanden sich in ihrem literarischen Blickfeld. Die Gruppe um die Zeitschrift »Ruch« propagierte nationale Ideen, v. a. S. Čech, dessen lyrische Dichtungen und historische Epen dem bewussten Nationalismus und der Erhaltung der tschechischen bäuerlichen Eigenart dienten. Diesem Gedankengut standen A. Jirásek mit historischen Romanen und der historische Romancier Z. Winter ebenso nahe wie die Vertreter einer romantisch-nationalen bis realistisch-kritischen Dorfprosa um J. Holeček, K. V. Rais, Teréza Nováková und die Literaturkritikerin Eliška Krásnohorská. Im Unterschied dazu war die Gruppe um die Zeitschrift »Lumír«, deren Hauptvertreter die Parnassisten J. Zeyer und J. Vrchlický waren, kosmopolitisch ausgerichtet; es gelang ihnen, den einengenden deutschen Einfluss zugunsten einer französischen Orientierung zu überwinden. Einen Übergang zwischen beiden Gruppen zeigt das Werk J. V. Sládeks. Zeyer behandelte in seinem Werk neben Stoffen aus der tschechischen Geschichte auch zeitgenössische Themen und näherte sich im Alter den Symbolisten. Noch vielseitiger und von kosmopolitischer Weltoffenheit geprägt ist das Werk Vrchlickýs, v. a. seine formvollendete Lyrik und die epischen Zyklen (»Zlomky epopeje«, 1886). Daneben erschienen sozialkritische Werke unter dem Einfluss der russischen Realisten, T. G. Masaryks Theorie des Realismus (besonders die Brüder J. und K. Čapek, J. S. Machar) und É. Zolas (v. a. die Brüder A. und V. Mrštík), während J. Arbes in der von ihm geschaffenen kürzeren Erzählform »Romanetto« v. a. Ergebnisse der modernen Wissenschaft und soziale Probleme behandelt.Das 20. JahrhundertDie tschechische Literatur des 20. Jahrhunderts folgte den Strömungen der westeuropäischen Literaturen und erlangte, v. a. nach der Gründung des tschechoslowakischen Staates (1918), immer stärkere internationale Beachtung. Neben der aus dem Realismus entstandenen Richtung des »Fortschritt« um F. V. Krejčí, der Milieuschilderung des Naturalismus bei K. M. Čapek-Chod, Gabriela Preissová und Božena Benešova finden sich in der tschechischen Literatur impressionistische Einflüsse bei A. Sova, eine katholische Moderne mit J. Deml, J. Durych und J. Zahradníček sowie einen Vitalismus bei F. Šrámek, F. Langer und - in seinen Anfängen - J. Wolker. Als Begründer der modernen tschechischen sozialen Lyrik gilt P. Bezruč (»Slezské písně«, 1909). Das 20. Jahrhundert wurde von der tschechischen Moderne und ihrem u. a. vom Literaturkritiker F. X. Šalda unterzeichneten Manifest »Česká moderna« (1895, »Tschechische Moderne«) beherrscht, das v. a. dem nationalen Pathos skeptisch gegenüberstand. Ein Forum des im Zeichen des Transzendentalen stehenden Symbolismus bei O. Březina und der von Untergangsstimmung geprägten Kultur des Fin de Siècle und der Dekadenz um K. Hlaváček und J. Karásek Zelvovic bildete die Zeitschrift »Moderni revue«. Daneben orientierte sich v. a. die junge Dichtergeneration an S. K. Neumann und dem Kreis der Anarcho-Boheme (K. Toman, F. Šrámek). Auf Initiative der Brüder Čapek wurde mit dem »Almanach na rok 1914« (1913, Almanach auf das Jahr 1914) ein neues Manifest der Moderne verfasst, das die Nachkriegsjahre entscheidend beeinflusste.Die 20er-Jahre des 20. Jahrhunderts waren durch die Künstlergruppe des Devětsil bestimmt, die - zumindest in den ersten Jahren ihres Bestehens - dem Proletkult nahe stand, v. a. V. Nezval und K. Teige, die Schöpfer der Theorie des Poetismus. Weitere Vertreter des Poetismus waren K. Biebl und J. Seifert sowie - in ihren Anfängen - F. Halas, V. Holan und V. Vančura. Diese Avantgardebewegung war auch nach der Auflösung des »Devětsil« weiter lebendig.Die parallele Entwicklung des tschechischen Poetismus und des französischen Surrealismus führte in den 30er-Jahren zu einer Verbindung beider Richtungen: 1934 erklärten Teige und Nezval, dass die gegenwärtige Etappe des Poetismus der Surrealismus sei und gründeten die »Skupina Surrealistů v ČSR« (Gruppe der Surrealisten in der ČSR). Daneben existierte die Richtung des Proletkults, der sich zu verschiedenen Zeitpunkten Marie Majerová, I. Olbracht, Wolker, Seifert, Teige, Vančura und Nezval anschlossen. - Bedeutende Erzähler dieser Zeit sind J. Hašek, der mit seinem burlesk-satirischen Roman vom »braven Soldaten Schwejk« (»Osudy dobrého vojáka Švejka za světové války«, 1921-23, 4 Bände, unvollendet) Weltruhm erlangte, und K. Čapek mit philosophisch-hintergründigen Prosadichtungen und gleichnishaften Dramen. In vereinzelt sozialistischen Modellromanen von Olbracht, Marie Majerová und Marie Pujmanová spiegeln sich v. a. die Arbeits- und Lebensbedingungen des Proletariats. Mit der Gruppierung »Skupina 42« (Gruppe 42, 1942) um die Dichter I. Blatný und J. Kolář, die einen existenziellen Zivilismus propagierte und das Großstädtische thematisierte, wurde der französische Einfluss auf die tschechische Lyrik zurückgedrängt. Große Bedeutung für das Avantgardetheater (Entwicklung des Theaters der kleinen Formen) vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg hatte das Schauspieler- und Autorenduo Jiří Voskovec (eigentlich Jiří Wachsmann, * 1905, ✝ 1981) und J. Werich. Nach dem Münchener Abkommen 1938 behandelten v. a. Lyriker wie Seifert, V. Závada, Halas und Holan in ihren Werken das Abkommen und seine Folgen für ihre tschechische Heimat.Zeichnete sich die tschechische Literatur seit der Jahrhundertwende v. a. durch Vielfalt und Formenreichtum aus, musste sie nach 1948 vorrangig politischen Bedürfnissen genügen. Nach der Regierungsübernahme der Kommunisten (1948) wurde auf dem Schriftstellerkongress 1949 der sozialistische Realismus zur verbindlichen Kunstdoktrin erklärt und die Orientierung an der sowjetischen Kunst gefordert, der sich mit einzelnen Werken, die einer dogmatischen sozialistischen Weltsicht verpflichtet waren, eine Reihe von Autoren anpasste, u. a. Olbracht, Marie Majerová, Marie Pujmanová, J. Drda, J. Otčenášek und V. Řezáč mit sozialistischen Aufbauromanen oder Kriegsschilderungen sowie Nezval mit einigen Poemen zu Ehren Stalins; andere, wie der Lyriker Ivan Blatný (* 1919, ✝ 1990) und die Erzähler E. Hostovský und J. Čep emigrierten; wiederum andere wurden zum Verstummen gebracht (Langer, Holan, Deml, J. Weil) oder verfolgt (Zahradníček). So herrschten in den 50er-Jahren ideologisch bestimmte Aufbau- und Produktionsromane und sozialistische Programmlyrik vor. Erst während der Entstalinisierung in der 2. Hälfte der 50er-Jahre konnte sich die tschechische Literatur in Teilbereichen vom politischen Druck befreien.Die tschechische Literatur der 60er-Jahre wandte sich von den vereinfachenden Konstruktionen und Klischees ab und berücksichtigte stärker die persönliche Erfahrungswelt, in der Lyrik F. Hrubín, A. Brousek, J. Skácel, Ivan Skála (* 1922, ✝ 1997), Oldřich Mikulášek (* 1910, ✝ 1985), V. Závada; in der Prosa L. Fuks, J. Gruša, B. Hrabal, I. Klíma, M. Kundera, Věra Linhartová, V. Páral, J. Procházka, J. Škvorecký, L. Vaculík; im Drama P. Kohout und V. Havel. Namhafte Literaturzeitschriften (»Literární listy«, »Tvář«) waren führend in der Reformbewegung des Prager Frühlings.Die sowjetische Invasion im August 1968 beendete die Phase der relativen Liberalisierung des literarischen Schaffens: Die Literatur wurde einer rigorosen politischen Zensur unterworfen und ideologisch gleichgeschaltet, die literarische Presse liquidiert, der Schriftstellerverband aufgelöst und neu gegründet; die literarischen Führer des Prager Frühlings wurden verfolgt, zum Teil in die Emigration getrieben, viele Autoren erhielten Publikationsverbot. Dies alles führte zu einer Spaltung der tschechischen Literatur in die offizielle Literatur, die Samisdat- und die Exilliteratur. Den Autoren, die weiterhin verlegt wurden (z. B. Skála, Fuks, Páral) oder die wieder in den offiziellen Literaturbetrieb zurückkehrten (z. B. Hrabal, Šotola, Seifert, Skácel, Mikulášek) stand eine große Zahl entgegen, die sich zur Emigration entschlossen hatte oder ausgebürgert wurde, u. a. Škvorecký, A. Lustig, Kundera, Gruša, Kohout, M. Nápravník, I. Diviš. Autoren der offiziellen Sphäre wie Šotola und Norbert Fryd (* 1913, ✝ 1976) traten einen Rückzug in die Historienepik an. Die in der Tschechoslowakei verbliebenen Autoren, die offiziell nicht publizieren durften, u. a. Havel, M. Uhde, Klíma, J. Trefulka, A. Kliment, Milan Šimečka (* 1930, ✝ 1990), Vaculík, K. Pecka, veröffentlichten in Exil- und Samisdatverlagen.V. a. für ihre Werke der 80er-Jahre ist eine verstärkte Reflexion des gesellschaftspolitischen Makrokosmos - dabei spielen die nationalen Traumata von 1938 und 1968 eine besondere Rolle -, eine Vorliebe für das Authentische und der Rückzug in den privaten Mikrokosmos feststellbar, u. a. in den Werken von Vaculík, Eva Kantůrková (* 1940), Šimečka, Kohout, Klíma. Daneben wird die »Deformation« der Menschen unter den Bedingungen des totalitären Regimes beschrieben, u. a. bei Pecka, Klíma, Eda Kriseová (* 1940), Petr Kabeš (* 1941), Havel, J. Trefulka, Zuzana Brabcová, Kliment und Uhde. Insbesondere die junge Autorengeneration organisierte sich in der literarischen Undergroundbewegung um die Zeitschrift »Revolver revue«. Werke von J. Topol, Petr Placák (* 1964) und Egon Bondy (* 1930) standen für Negation, Provokation und Nonkonformismus.Eine Vielzahl der Exilanten schrieb in der jeweiligen Landessprache, u. a. Libuše Moníková, Sylvie Richterová (* 1945), Gruša, O. Filip, L. Aškenazy, Gabriel Laub (*1928, ✝ 1998), Kundera, andere hielten an ihrer Muttersprache fest (Diviš, Brousek). Eine breite thematische Fächerung erfuhren in der Exilliteratur sowohl von 1948 als auch von 1969 die psychologischen Transformationen im Exil, Heimweh und Fremde, Identitäts- und Sprachverlust.Nach der »sanften Revolution« 1989 wurde das kulturelle Schisma der literarischen Dreiteilung aufgehoben und die bis dahin weitgehend unreflektiert nebeneinander existierende offizielle und inoffizielle Literatur zusammengeführt. Nach 1990 wurden vorwiegend Samisdat- und Exilwerke verlegt, einige Autoren kehrten aus der Diaspora zurück (Kolář) u. a. pendeln zwischen ihren zwei Heimaten (Lustig, Gruša).In der tschechischen Literatur der 90er-Jahre ist eine zunehmende Differenzierung und Autonomisierung sowie die Abkehr von der außerliterarischen Mission von Literatur beobachtbar, wobei v. a. die experimentelle Prosa eine große Rolle spielt, u. a. Michal Ajvaz (* 1949), Daniela Hodrová (* 1946), Michal Viewegh (* 1962), Pavel Řezníček (* 1942). Deren Merkmale wie Intertextualität, Autoreferenz, Plagiierung und Artifizialität verweisen auf postmoderne Schreibstrategien und rufen im tschechischen Kontext auch theoretische Überlegungen zum experimentellen Schreiben hervor (Jíří Kratochvil, * 1940).Nachschlagewerke:J. Kunc: Slovník soudobých českých spisovatelů, 2 Tle. (Prag 1945-46);Slovník českých spisovatelů, hg. v. R. Havel u. a. (ebd. 1964);R. Šťastný: Čeští spisovatelé deseti století (ebd. 1974);F. 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Universal-Lexikon. 2012.